Health Startup: Sag, wie hältst du´s mit dem Vertrieb?
Wie früh sollten Startups der MedTech und Life Science Branche Vertriebs- und Marktzugangsthemen mitdenken? Von Anfang an! Denn stecken Vertriebsprofi und Entwickler innovativer Versorgungslösungen sehr früh die Köpfe zusammen, steigen die Chancen auf eine Erfolgsgeschichte ganz erheblich, ist Corinna Ernst überzeugt. Als selbstständige Vertriebsexpertin kennt sie den Grund, warum Startups am häufigsten scheitern: Sie entwickeln ein Produkt, ohne die Bedürfnisse ihrer Kunden und deren Herausforderungen gut genug zu kennen (1).
Vertriebsprofi früh ins Boot holen
Entwickler von Produktinnovationen im Life Science und Healthcare Markt haben häufig eine sehr tiefe Fachexpertise in einem hochspezialisierten und komplexen Anwendungskontext und eine ausgeprägte Leidenschaft für die Produktentwicklung. Wissenschaftler, Forscher oder Gründer sprechen begeistert und gerne über ihre Produkte, die sie in- und auswendig kennen. Nicht wenig sind verliebt in jedes Detail ihrer Entwicklung und schalten – wenn es um ihre Produkte geht – am liebsten auf „Senden“. Ganz anders der Vertriebsprofi. Er ist ein Übersetzer – der aus Produkteigenschaften Anwendernutzen formuliert und ein guter Zuhörer, der die Bedarfslage von Anwendern erfragt, verdichtet und versteht. Spezialisiert auf den MedTech und Life Science Markt kennt er die spezifischen Eintrittshürden in den national sehr verschiedenen Märkten, die Entscheider, die Investitionszyklen sowie die Fördertöpfe. Ob und wie schnell und effizient innovative Versorgungslösungen auch wirtschaftlich erfolgreich in eigenen oder anderen europäischen oder internationalen Märkten fußfassen können, entscheidet sich für die Anbieter ganz wesentlich an der Expertise der Vertriebsprofis, die mit im Boot sind.
Marktzugang – Schicksalsfrage für viele Startups
Auch wenn Produktlösungen „super“ sind, erklären sie sich ohne tiefe Produktkenntnis nicht von selbst. Außerdem beeinflussen viele produktunabhängige Faktoren, ob eine Lösung von Versorgungseinrichtungen gekauft, von Leistungserbringern genutzt und von Kassen vergütet werden können. Für die Anbieter von innovativen Diagnose- oder Therapieunterstützungen wird die Frage des Marktzugangs damit häufig zur Schicksalsfrage. Health Startups – viele davon universitäre Ausgründungen – erhalten von Acceleratoren und Inkubatoren (2) Wagniskapital und erste öffentliche Fördermittel. Sind diese aufgebraucht, droht trotz einer vermeintlich guten Produktidee häufig früh das Aus, sie scheitern (3,4). Zu viele – produktunabhängige – Hürden sind zu überwinden, zu wenig Kompetenz und Erfahrung auf Seiten der Forscher und Gründerteams sind vorhanden, um „guten Produkten“ den Weg zu den Anwendern zu bahnen, um spezifische Hebel und Marktmechanismen zu erkennen und zu nutzen.
Gesundheitsmärkte sind nationale Märkte, die Vertriebsstrategien sind es auch!
Der hochregulierte Gesundheitsmarkt macht den Weg für Produktinnovationen besonders steinig. Der Anschaffung von High Tech Investitionsgüter, z. B. neue Diagnostik-Tools oder Labortests, gehen in der Regel lange Budgetplanungsphasen voraus, auch Anträge auf öffentliche Fördergelder für die Implementierung von Innovationen sind zeitaufwändig und können einen langen Vorlauf haben. Kreative, auf die Einrichtung und ihre Möglichkeiten angepasste Bezahlmodelle gehören ebenso zum Repertoire eines Vertriebsprofis wie die Rolle des „Übersetzers“, der den Entscheidern in der Beschaffung den Nutzen eines Produktes im Vergleich zu etablierten Lösungen vermitteln kann. Wer ist überhaupt der Entscheider? Wie denken die zukünftigen Anwender über das Produkt, wie lässt sich ein belastbares Feedback in kurzer Zeit einholen und wie gewinnt man Fürsprecher für sein Produkt? Das alles sind klassische Vertriebsaufgaben. „Ins Gespräch kommen mit den zukünftigen Anwendern, verstehen, wie die Investitionsprozesse für eine bestimmte Innovation laufen, und zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein,“ das ist die Stärke, von der Unternehmen profitieren, wenn sie mit Vertriebsprofis zusammenarbeiten“, betont Corinna Ernst .
Was dabei zählt, sind persönliche Kontakte und Netzwerke. Wer den Zugang zu Netzwerken hat, kann leichter als andere Entscheider identifizieren und strategische Allianzen zu Unternehmen knüpfen und daraus Synergien ableiten für die beteiligten Partner: Kosteneinsparungen, Knowhow-Transfer, effiziente Nutzung von Vertriebskapazitäten. „Häufig denkt man bei Vertrieb erst an Außendienst und kommt reflexartig zum Schluss: Das können wir uns (noch) nicht leisten!“, eine Reaktion, die Corinna Ernst aus ihrer Beraterpraxis kennt.
Schlanke, zielgerichtete Vertriebsberatung trägt erstaunlich schnell Früchte
Was gerade junge Unternehmen dabei vergessen: Beratung zur Vertriebsstrategie ist in einer frühen Phase, bevor eine Produktentwicklung abgeschlossen ist, sehr fokussiert. Es gilt, mit den richtigen Unternehmen und Institutionen zu sprechen, die Evaluation des patientenrelevanten Nutzens unter Berücksichtigung der leitliniengerechten Versorgung mitzudenken, Fürsprecher zu finden. Ein gutes Forum bieten z. B. Kongresse und Fortbildungen, auf denen sich Anwender über Herausforderungen in der Diagnose oder Therapie austauschen. Dort bieten sich gute Gelegenheiten, eine Produktinnovation ins Gespräch zu bringen – bitte nicht als „Werbe-Show“, sondern als Teil eines unabhängigen, fachlichen Diskurses, der Anbietern den Nutzen ihrer Entwicklungen spiegeln kann. Abhängig von den Indikationsschwerpunkten ist das Geflecht von Fachgesellschaften und Berufsverbänden und die jeweilige Fortbildungslandschaft sehr unterschiedlich organisiert. „Wenn ich mit Unternehmen ein Beratungspaket individuell für die jeweilige Produktinnovation entwickle, zeigt bereits ein erster, auf die vorhandenen begrenzten Ressourcen abgestimmter Maßnahmenplan sehr schnell Früchte“, betont Corinna Ernst. „Wenn man das Zusammenspiel von Leistungserbringern und Kostenträgern kennt und die gesetzlichen Rahmenbedingungen nutzen kann und den Markt versteht, hat man als Vertriebsprofi immer auch die Wirtschaftlichkeit der Geschäftsmodelle im Auge und wirkt darauf hin, die Weichen einer Produktinnovation auf Markterfolg zu stellen.“
Fazit: Unternehmen, die sich mit ihren Produktinnovationen im Markt etablieren wollen, holen sich frühzeitig einen Vertriebsprofi ins Boot, der ressourcenschonend und effektiv die entscheidenden Erfolgshebel für den Marktzugang ihrer Produkte identifizieren und souverän bespielen kann.

Zur Autorin:
Corinna Ernst unterstützt als Vertriebsprofi überwiegend ausländische Unternehmen (Startups) dabei, ihre Medizinprodukte auf dem deutschsprachigen Markt (D/A/CH) zu etablieren. https://www.corinna-ernst.de/
Quellen:
- Die häufigsten Gründe, warum Startups scheitern. November 2019 https://www.gruenderszene.de/galerie/grund-zum-scheitern
- Inkubatoren und Accelerator für Startups in Deutschland https://t3n.de/news/inkubatoren-accelerator-startups-deutschland-655475/2/
- Förderung der Digitalen Gesundheit. Juli 2019. https://healthcare-startups.de/foerderung-der-digitalen-gesundheit/
- Das Problem vieler Startups ist die Anschlussfinanzierung https://gruender.wiwo.de/dipat-das-problem-vieler-start-ups-ist-die-anschlussfinanzierung/ Januar 2018
Bildnachweise: © depositedhar, Maren Kolf Fotografie
- Veröffentlicht in Market Access
Digital Champions: Wer geht als Healthcare Mover voran?
Die internationale Healthcare Mover 2019 Studie, in der Beatus Hofrichter – Geschäftsführer des Strategieberaters ConCeplus und Partner der Healthcare Shapers – die Dynamik im Investitions- und Innovationsverhalten führender Gesundheitsakteure aufzeigt, geht in eine neue Runde: Analysiert werden im nächsten Schritt die Unternehmen der Life Science Branchen inkl. der IKT Firmen in Deutschland. Grundlage ist eine Benchmark-Analyse, die drei zukunftsweisende Geschäftsfaktoren beleuchtet, die agile Unternehmen besonders gut beherrschen und sich damit im Wettbewerbsumfeld positiv abgrenzen
Im Rahmen der qualitativen, internationalen Benchmark Studie HCM 2019 hat die Firma ConCep+ 6’800 Life Science Unternehmen, IKT-Firmen und Gesundheitsdienstleistern in Dänemark, Finnland, Großbritannien, Irland, Kanada, Norwegen, Österreich, Schweden und der Schweiz analysiert. Die Studie zeigt, was innovative und agile Unternehmen auszeichnet, die die Digitalisierung ihre Geschäftsprozesse und Business Modelle besser beherrschen, als ihre Konkurrenten. Auch in der Dynamik, mit der sie die digitale Transformation vorantreiben, heben sie sich deutlich vom Gesamtmarkt ab. Die skandinavischen Länder und Kanada sind besonders weit entwickelt, viele Unternehmen bieten dort bereits umfangreiche, digitale Angebote.
Was können Healthcare Movers besonders gut?
Jedes fünfte Unternehmen (+1’250/18.3%) zählt zu den sog. “Healthcare Movern” (HCMs), die digitale Transformation als Wettbewerbsvorteil nutzen und ihre Marktposition auf diesem Weg ausbauen. Diese HCM-Player konzentrieren ihre strategischen Investitionen auf drei Schlüsselfaktoren: 1. Daten entlang Behandlungspfaden ganzheitlich erfassen, 2. Next-Level-Technologien nutzen, und 3. Neue Geschäftsmodelle entwickeln.
Innerhalb dieser Healthcare Mover hebt sich die Top 100 HCM-Kohorte besonders deutlich ab: Sie nutzen hochinteressante, integrative Geschäftsmodelle im Gesundheitswesen, die weit über die traditionellen Kompetenzen der Kernbranche hinausgehen. Sie sind überdurchschnittlich aktiv in therapeutischen Bereichen wie Kardiologie, Neurologie, Onkologie inkl. Urologie und Gynäkologie sowie Radiologie.
Innovationsführer setzen auf integrierte digitale Lösungen
Der Marktanteile der Multi-Billionen-Dollar-Industrie ist hart umkämpft. Traditionell-orientierte Marktteilnehmer fokussieren immer noch sehr stark auf produktorientierte Innovationen. Im Gegensatz dazu setzen die neuen Innovationsführer auf integrierte digitale Lösungen, um ihre Marktbedeutung auszubauen. “Die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit im Gesundheitswesen geht aus agilen Konvergenzinnovationen hervor. Sie kombinieren neue Technologien und Gesundheitsdatenstrategien mit fachübergreifenden Kompetenzen und dem Ausbau ihrer IKT-Kapazitäten, um die Ergebnisse neuer, patientenzentrierter Angebote, jederzeit messbar zu machen”, betont Beatus Hofrichter, der die Methodik zum Benchmarking der Healthcare Movers entwickelt hat.
Strategische Partnerschaft mit IKT-Firmen
Die zukünftigen HCM-Gewinner setzen sehr stark auf technologische Neuerungen und sind in der Lage, ihre Geschäftsmodelle agil zu entwickeln und anzupassen. Wer zu den Global Top 100 HCMs zählt, sieht sich als Teil einer neuen Avantgarde und hebt sich deutlich ab (siehe Abb. von traditionellen Akteuren. Die Benchmarks für die Agilität von Geschäftsmodellen (0,71 Punkte) und die Nutzung von Next-Level Technologien (0,69 Punkte) sind entsprechend gut. Diese Life-Science-Unternehmen haben die Bedeutung strategischer Partnerschaften mit IKT-Firmen verstanden und entwickeln mit diesen Unternehmen ganzheitliche, integrierte Plattformen. «In allen Bereichen des Gesundheitswesens gilt es, Daten zu erfassen und daraus neue Erkenntnisse und Servicemodelle zu entwickeln”, ist Beatus Hofrichter überzeugt, der Unternehmen mit dem von ihm entwickelten Benchmark-Modell aufzeigen kann, wie gut sie im HCM Umfeld aufgestellt sind und welche Anpassungen heute erforderlich sind, um die Marktposition von morgen sichern zu können.

Wirtschaftsstandort Deutschland: HCM Studie 2020
Derzeit analysiert er im Netzwerk der Healthcare Shapers den deutschen Wirtschaftsstandort und fokussiert dabei auf die folgende Kernfrage: Wie gut sind Unternehmen darauf vorbereitet, im international datengetriebenen Wettbewerb zu bestehen und welche Unternehmen werden zukünftige eine dominierende Marktposition erobern? Wenn Wirtschaft und Politik verstehen, was erfolgreiche Innovatoren auszeichnet, können Investitions- und Förderkonzepte gezielt auf die Entwicklung der erforderlichen Kompetenzen fokussieren. Diese käme dann vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen der LifeScience Branche in Deutschland zugute und würde diesen helfen, im digitalisierten Marktumfeld clever mitzuspielen oder sogar als Gewinner aus dieser digitalen Transformation hervorzugehen.
Antworten liefert die HCM Study Germany 2020, welche kommenden September gemeinsam mit den Healthcare Shapers erstellt und publiziert wird.
Sind Sie interessiert, als Unternehmen an der Studie aktiv mitzuwirken? Dann freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme.
Über ConCeplus
Die ConCeplus GmbH (CC+) ist eine visionäre Strategieberatungsfirma mit Sitz in Weggis, Schweiz. Sie berät Mandanten und Institutionen jeder Größe, weltweit. Sie wendet firmeneigene, fundierte Erkenntnisse und Spitzenleistungen im Bereich Life Sciences & Healthcare an. CC+ unterstützt Kundenziele mit Begeisterung und Senior Expertise. Im Gegensatz zu einem traditionellen Berater nutzt CC+ sein proprietäres Netzwerk als Think Tank, um neue Geschäftsansätze für einen reibungslosen Einsatz unabhängig zu validieren. https://www.conceplus.ch//en
- Veröffentlicht in Digitalisierung, E-Health, Health-IT, Strategie
Neue MDR: Mehr Sicherheit für Patienten, große Unsicherheit für MedTech-Branche?
Die Medical Device Regulation (MDR) und die In-vitro-Device Regulation (IVDR) treten 2020 bzw. 2022 in Kraft und werden die Geschäftsgrundlage vieler Medtech-Firmen grundlegend verändern. Insbesondere im Bereich Regulatory Affairs muss massiv investiert werden. Medizinprodukte sind CE-kennzeichnungspflichtig und müssen ein sogenanntes Konformitätsverfahren durchlaufen, dessen Komplexität sich am Risiko des Produktes orientiert.
Die Anforderungen in diesem Konformitätsverfahren werden zukünftig insgesamt verschärft. Für Klasse I Produkte mit geringem Risiko kann der Hersteller die Konformität weiterhin ohne Benannte Stelle (Notified Body) erklären. Allerdings rutschen etliche Produkte der bisherigen Klasse I in die Klasse II, so dass eine Benannte Stellen auditieren muss. Im Bereich der In-Vitro-Produkte, die bisher zu rund 80 Prozent keiner Auditierung bedurften, müssen sich Hersteller nun einem aufwändigeren, standardisierten Prozedere unterwerfen.
Auch nach der Markteinführung muss der Hersteller die Wirksamkeit seiner Produkte anhand von klinischen Daten, z. B. aus der Marktüberwachung, dokumentieren (1).
Durch strengere Auflagen an die Zulassungsstellen (Notified Bodies) und die verschärfte Überwachung der Akkreditierungsbehörden sowie die sinkende Anzahl der Notified Bodies in Europa, wird es zu Engpässen im Zulassungsverfahren kommen. Für komplexere Medizinprodukte geht man von Verzögerungen von bis zu vier Jahren aus (2).
Um rechtzeitig den neuen Vorschriften zu genügen und die dazu notwendige, regulatorische Expertise in Unternehmen auf- und auszubauen, sind zusätzliche Personalressourcen erforderlich. Die Kosten für die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), die 95 Prozent aller Medtech-Firmen ausmachen, sind enorm. Unter der Annahme von zwei zusätzlichen Mitarbeitern pro Unternehmen belaufen sie sich in den nächsten drei Jahren kumuliert auf über 10 Mrd.€ (3).
Risiken erfolgreich steuern:
3 Tipps für eine gute Vorbereitung auf die MDR
Interview mit Roman M. Müller, Partner im Netzwerk der Healthcare Shapers. Er ist Geschäftsführer und Inhaber der rm² Strategy Consulting.
Herr Müller, Sie sind seit knapp 20 Jahren in der Medizintechnikbranche aktiv. Welche Tipps im Umgang mit der neuen MDR geben Sie MedTech-Unternehmen?
Die Entwicklungsprozesse für medizinische Produkte sind ohnehin komplex. Die Änderungen durch die neue MDR erhöhen die Kosten und den Zeitaufwand für die Zertifizierungsprozesse und die Überwachung der Produktsicherheit in den Unternehmen erheblich. Bei den Benannten Stellen wird die Neubewertung aller neuen und bestehenden Medizinprodukte zu Verzögerungen im Zertifizierungs- und Überwachungsprozess führen.
1. Gute Vorbereitung heißt enge Abstimmung mit Behörden
Gut vorbereitet können Unternehmen frühzeitig Maßnahmen ergreifen, um in einem reibungslosen Übergang das Portfolio ihre Medizinprodukte neu zu bewerten und die Zertifizierungs- und Überwachungsprozesse entsprechend der neuen MDR erfolgreich anzupassen. Deshalb sollten Unternehmen potenzielle Compliance-Fragen frühzeitig mit Ihrer Benannten Stelle diskutieren, um entsprechende Implementierungsprozesse zu entwickeln.
2. Gute Vorbereitung heißt Konzentration auf leistungsstarke und verkehrsfähige Medizinprodukte
Unternehmen werden sich unter den verschärften regulatorischen Rahmenbedingungen nur mit überzeugenden Medizinprodukten im Markt behaupten können. Deshalb müssen sie jetzt ihre Produktportfolios neu bewerten, d. h. den Aufwand für die veränderten Anforderungen an Marktüberwachung und Zulassungsprozess kalkulieren. Sind zusätzliche klinische Studien erforderlich, wie verändert sich der Personaleinsatz? Letztlich werden die Produktkosten neu berechnet. Unter Einbeziehung von Marktpotentialen, Lebenszyklen und der Wettbewerbssituation eines jeden Medizinproduktes im Portfolio lassen sich valide Investitionsentscheidungen treffen und Veränderungen des Return on Investment (ROI) in der Bilanzplanung (P&L) mittel- und langfristig abbilden.
3. Gute Vorbereitung heißt die Organisationsstrukturen und die Vermarktungsstrategie an die Rahmenbedingungen anpassen und zeitnah implementieren
Unternehmen müssen wissen, ob und wenn ja wie, Marketing- und Vertriebsstrategien angepasst und organisatorische Strukturen gegebenenfalls verändert werden müssen. Strategische Unternehmensziele sind in strukturierte Projektplanungs- und Umsetzungsprozesse zu überführen, mit denen die Verkaufsteams gesteuert werden können. Das ist ein mehrstufiger Prozess, in dem sich entscheidet, wie gut es Unternehmen gelingt, z. B. Übergangsfristen sinnvoll zu nutzen und Verzögerungen, die durch die Überlastung der Zulassungsbehörden zu erwarten sind, erfolgreich zu überbrücken.
Faktenbox MDR: Hintergrundwissen
Die Medical Device Regulation (MDR) ist eine Europäische Richtlinie. Sie wird die derzeitige EU-Richtlinie für Medizinprodukte 93/42 / EWG durch die EU-Richtlinie 90/385 / EWG ersetzen.2. Wann wird die MDR implementiert?
Die MDR trat am 25. Mai 2017 mit einer Übergangsfrist von 3 Jahren bis zum 26. Mai 2020 in Kraft.
3. Wann müssen Hersteller von Medizinprodukten der neuen MDR entsprechen?
Hersteller von derzeit zugelassenen Medizinprodukten haben eine Übergangszeit von drei Jahren (bis zum 26. Mai 2020), um die Anforderungen der MDR zu erfüllen. Dieser Übergang kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen bis zum 26. Mai 2024 erweitert werden.
4. Was sind die wichtigsten Änderungen im neuen MDR?
Einige der wichtigsten Änderungen umfassen…
- Bisher nicht regulierte Produkte werden zu Medizinprodukten
Erweiterung des Produktumfangs. Die Definition von Medizinprodukten und aktiv implantierbaren Medizinprodukten wird erheblich erweitert, um Produkte einzuschließen, die keinen medizinischen Verwendungszweck haben, und Geräte, die zum Zweck der “Vorhersage” einer Krankheit oder eines anderen Gesundheitszustands entwickelt wurden. - Die Risikobewertung bestehender Medizinprodukte wird verschärft
Neu-Klassifizierung von Produkten nach Risiko, Kontaktdauer und Invasivität. Die MDR fordert von den Herstellern, die Klassifizierungsregeln zu überprüfen und ihre technische Dokumentation entsprechend zu aktualisieren. - Medizinprodukte mit hoher Risikoklassifizierung müssen Sicherheit und Leistungsprofile in klinischen Studien nachweisen
Präzisere klinische Nachweise für Klasse-III- und implantierbare Produkte. Die Hersteller müssen klinische Bewertungen durchführen, wenn sie nicht genügend klinische Nachweise haben, um Aussagen zur Sicherheit und Leistungsfähigkeit eines bestimmten Gerätes zu belegen. - Medizinprodukte der mittleren Risikoklasse müssen gegebenenfalls ebenfalls klinische Studiennachweise für Sicherheit und Nutzen erbringen
Systematische klinische Beurteilung von Medizinprodukten der Klassen IIa und IIb. Der Hersteller muss seine klinische Bewertung erneut vorbereiten, indem er den neuen Wortlaut der Verordnung darüber berücksichtigt, wann ein Äquivalenzansatz ausreichend ist und unter welchen Umständen es gerechtfertigt ist, keine klinischen Untersuchungen durchzuführen. - Bessere Markttransparenz durch Einführung eines eindeutigen Produktschlüssels für alle Medizinprodukte.
Mit dem eindeutigen Produktschlüssel Unique Device Identification (UDI) werden sowohl das Produkt als auch die Produktion identifiziert, die Rückverfolgbarkeit soll so z.B. bei Produktrückrufen verbessert werden. Ab dem 26.05.2020 sollen dann sowohl alle Wirtschaftsakteure als auch deren MDR-Produkte in der Europäischen EUDAMED Datenbank verfügbar sein. - Strengere behördliche Überwachung durch die Benannten Stellen. Dies geht unternehmensseitig mit einem höheren Aufwand in der Dokumentation und der Einhaltung der Vorschriften durch Benennung einer verantwortlichen Person einher.
- Es gibt keine Ausnahmen, d. h. alle derzeit zertifizierten Medizinprodukte und aktiven implantierbaren Medizinprodukte müssen unter Einhaltung der neuen Vorschriften erneut zertifiziert werden.
5. Gibt es Übergangsfristen?
Artikel 120 Zertifikate, die vor dem 25. Mai 2017 oder während der Übergangszeit gemäß den Richtlinien 90/385 / EWG und 93/42 / EWG ausgestellt wurden, bleiben bis zum Ende der im Zertifikat angegebenen Frist gültig. Vorausgesetzt, dass es keine signifikanten Änderungen gibt, z.B. organisatorische Änderungen, Änderungen, die nicht mit dem Design und dem beabsichtigten Zweck zusammenhängen. Bis zum 26. Mai 2020 sind parallele Zertifizierungen möglich. Die letzten MDD / AIMDD Zertifikate laufen am 26. Mai 2024 ab und der Abverkauf ist dann noch bis zum 26. Mai 2025 möglich. Danach sind die MDD / AIMDD Zertifikate nicht mehr gültig.

Quelle: MedTech Europe, Merlin Rietschel, Neues zu den Benannten Stellen, MedInform-Veranstaltung, Köln, 13.03.2018
Weiterführende Links
- Praxisbeispiel aus der Beratungspraxis von Roman Müller: Ein Mittelstandsunternehmen aus Baden-Württemberg stellt sich den Anforderungen der Medical Device Regulation (MDR).
- MDR: Checkliste für eine erfolgreiche Implementierung
Quellen
- NZZ Neue Zürcher Zeitung, Europäische Medtech-Branche fürchtet verspätete Zulassungen, 12.02.2018
- MedInform, Aktueller Stand der Implementierung der EU-Medizinprodukte-Verordnung, Köln, 13.03.2018
- ConCep+, THINKING AHEAD! 12. LIMEDex Index Report – Q4/ 2017, 12.01.2018
- MedTech Europe, Merlin Rietschel, Neues zu den Benannten Stellen, MedInform-Veranstaltung, Köln, 13.03.2018
- Veröffentlicht in Digitalisierung